Kundendienst oder Vertriebsinnendienst – diese Begriffe umschwebt in Zeiten von Omnichannel ein Hauch des Gestrigen. Denn Vertriebskanäle werden heute parallel angeboten und vor allem untereinander verknüpft. Da passt das Bild einer autarken Abteilung, die sich losgelöst von anderen Fachbereichen um Kundenbelange kümmert, einfach nicht mehr. Wer jemals eine einfache Telefonanschlusskündigung mit vier Anrufen und einer Eskalations-Mail durchsetzen musste, weiß, wovon die Rede ist: Diese Anbieter richten Ihren Customer Service noch nach Maßstäben aus, die nicht mehr zeitgemäß und kundenbindend sind.
Ganzheitliche Plattformen als User-Area
Wer bereits Connected Commerce betreibt, also eine Omnichannel-Strategie verfolgt, sollte in Sachen Kunden-Feedback nicht schwächeln. Gefragt sind heutzutage ganzheitliche Online-User-Areas mit vernetzten Touchpoints, um dem Nutzer eine individuelle Form der Kontaktaufnahme mit dem Service Center zu ermöglichen. Wenn man das Kundenbedürfnis wirklich in den Mittelpunkt stellen will, ist eine Transformation vom Old-School-Kundendienst hin zu modernen, hybriden 24/7-Service-Welten zwingend.
Voraussetzung dafür ist das Zusammenspiel des Customer Service mit anderen Fachbereichen, sowie die Nutzung aller zur Verfügung stehenden Technologien: Chatbots, WhatsApp, Facebook und sonstige Serviceangebote über soziale Netzwerke. Eine moderne Customer-Service-Organisation integriert IT, Marketing, Sales und Logistik und lässt sie zusammenarbeiten. Über alle Touchpoints der Abteilungen hinweg werden dabei im Rahmen der Freigabe ganzheitliche Kundendaten eingesammelt.
„Alle kundenbezogenen Bereiche und Strategien müssen konsequent nach dem „Customer Centricity Prinzip“ auf die Kundenperspektive und Ihre Bedürfnisse ausgerichtet werden. Empathie und Lösungsorientierung sind im direkten Kundenkontakt unumgänglich – auswendig gelernte Phrasen sind nicht mehr zeitgemäß und kundenbindend!“
– Björn Pohler, Principal Consultant, SIRIUS Consulting & Training AG
First-, Second- und Third-Level-Support – analog zur IT
Beim Aufbau einer modernen Customer Service Organisation lässt man sich idealerweise vom Beispiel des First-, Second- und Third-Level-Support in der IT inspirieren. Ein Stufensystem, das kundenfokussiert ist, sorgt dafür den passenden Ansprechpartner zum richtigen Zeitpunkt mit Kundenbrille lösungsorientiert bereitzustellen. Es ist nicht erforderlich beim Erstkontakt top-ausgebildete Service Center Agents einzusetzen. Diese sollte man mit Bedacht für die Klärung von Problem- und Härtefälle bereithalten.
Zu 99 % ist jede Kontaktaufnahme mit dem Service Center ein Failure. Eine zu starke These? Nicht unbedingt, denn sie besagt lediglich: Wenn der Kunde den menschlichen Service erst kontaktieren muss, läuft zumeist schief, was Plattformen/Technologien im Vorfeld nicht abdecken konnten. Idealerweise funktionieren Chat Bots, Apps, IT-Services und User Area so gut und sind mit all den erforderlichen Informationen ausgestattet, dass man gar nicht erst zum Hörer greifen muss. Geben Sie Ihren Kunden deshalb die Möglichkeit, den Kundenservice auf ihren bevorzugten Kanälen zu kontaktieren. Und verstecken Sie keine Kontaktinformationen!
Nach dem Issue ist vor dem nächsten Kauf
In der Realität wird es noch eine Zeit dauern, bis ein telefonischer Erstkontakt nicht mehr erforderlich ist. Bis dahin sollten ein paar Grundregeln befolgt werden. Servicequalität zeichnet sich dadurch aus, dass der Agent auf das Kundenanliegen wirklich eingeht. Vermitteln Sie stets das Gefühl zu helfen, selbst wenn klar ist, dass dies nicht auf Anhieb möglich ist. Zum Beispiel einen Rückruf anbieten oder sofort den Kontakt zu dedizierten Fachleuten im Unternehmen herstellen. Lassen Sie persönliche Bindung zu. Wenn der Kunde schon den persönlichen Anruf tätigt, sollte er auch nicht jedes Mal mit jemandem anderen sprechen müssen. Gerade bei Härtefällen der dritten Stufe braucht es feste Kontaktpersonen. Niemand will eine komplizierte Situation wieder und wieder von vorne darstellen. Bedenken Sie: Je nach Härtegrad des Servicefalls und Qualität der Lösung kann ein Kunde für immer verloren sein. Nutzen Sie deshalb den Servicefall als Chance und kehren Sie den Effekt um. Nach dem Issue ist vor dem nächsten Kauf!
Weg mit dem Kundendienst-Säulendenken!
Über Bewertungsportale (Trusted Shops, Idealo, Trustpilot…) haben enttäuschte Kunden heute massiven Einfluss auf das (dann negative) Image eines Unternehmens in der Öffentlichkeit. Wer kümmert sich darum, dass hier schnell reagiert und geantwortet wird, wer koordiniert dies intern? Jedes kundenorientierte Unternehmen benötigt eine Matrix-Organisation, die sich um solch übergeordnete Themen kümmert. Der Umgang mit Bewertungsportalen gehört in die Hände von Marketing, Sales und Service gleichermaßen. Überkommende Organisationsstrukturen sind verantwortlich dafür, dass dies in der Praxis bislang oft nicht gut funktionierte. Deshalb weg mit dem Kundendienst-Säulendenken von gestern! Alle Abteilungen müssen sich dafür verantwortlich fühlen, dass die Kundenbewertungen bestmöglich sind.
Und ist das Kind einmal in den Brunnen gefallen: Seien Sie großzügig und sparen Sie nicht an Goodies als „Schadensersatz“. Der „Customer Lifetime Value“ ist viel zu groß, um im Service leichtfertig in den Wind geschlagen zu werden. Dabei handelt es sich um den Wert, den ein Kunde über die gesamte Zeit seiner Kundschaft für ein Unternehmen darstellt. Ihn zu erhalten und die Kundenakquisitionskosten (Kosten, um einen Kunden für den Kauf zu gewinnen) dürfen bei der Rückgewinnung nicht allein dem Customer Service aufgebrummt werden. Im Service werden Wiedergutmachungs-Gutscheine kostenorientiert nur sehr zurückhaltend eingesetzt. Für das Marketing liegen die Einzelkosten jedoch meist unter den üblichen Kundenakquisitionskosten. Hier ist also Zusammenarbeit angesagt – wie diese im Einzelnen aussieht, klären wir im nächsten Teil.
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